Geschichte

erster Parteitag nach dem „Fall des Sozialistengesetzes“: Hofjäger / Schorre

Im Jahre 1890 fand sich im Deutschen Reichstag keine Mehrheit mehr, um das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ um weitere drei Jahre zu verlängern.

Zwölf Jahre lang war jegliche Parteiarbeit verboten gewesen, die Sozialdemokraten wurden auf vielfältigste Art verfolgt, nur Einzelpersonen durften für den Reichstag kandidieren, und die wenigen Parteitage mussten im Ausland abgehalten werden. Nun entschied die Reichstagsfraktion, den ersten Parteitag nach dem „Fall des Sozialistengesetzes“ vom 12. Bis 18. Oktober 1890 in Halle abzuhalten, im Lokal „Zum Hofjäger“.

Halle hatte in diesen Jahren einen enormen Aufstieg erlebt und war mit 100 000 Einwohnern zu einer Großstadt geworden. Dazu der Historiker Herzberg: „Mit dem ‚Aufblühen‘ der Stadt sind die verschiedenen dunklen Schattenseiten des deutschen großstädtischen Lebens keineswegs ausgeblieben“ und „Nach der politischen und sozialen Seite ist, wie in vielen anderen deutschen Zentralplätzen, bekanntlich auch in Halle ein sehr ausgedehnter Teil der Bevölkerung der Sozialdemokratie zugefallen“.

Die Partei begrüßte Gäste aus mehreren Ländern und hörte Grußworte aus Kopenhagen, Paris, Gent, Warschau, Wien, Den Haag und Stockholm. Voller Selbstbewusstsein sagte August Bebel als Berichterstatter der Parteileitung: „Zeigen wir durch die Beratungen auch dieses Parteitages, dass wir uns vollkommen der weltgeschichtlichen Mission bewusst sind, die das Proletariat, und als Führerin des Proletariats, die Sozialdemokratie zugewiesen bekommen hat“.

Diese Sicht teilte wohl auch der konservative „General-Anzeiger für Halle und den Saalkreis“, der bereits am 10. Oktober die Liste der Delegierten mit folgenden Bemerkungen veröffentlichte: „Nur noch zwei Tage trennen uns von der Eröffnung des sozialdemokratischen Kongresses, der in diesen Tagen die Blicke aller derer auf unsere Stadt hinlenkt, die den Verlauf der sozialpolitischen und wirtschaftlichen Entwicklung in den Kulturstaaten der alten Welt in den Kreis ihrer Beobachtungen ziehen…. Allein auch diejenigen Kreise und Schichten der Bevölkerung, welche es unserer Stadt als eine nur zweifelhafte Ehre anrechnen, dass selbige die Vertreter der unzufriedenen Arbeiterbevölkerung aller Länder in ihren Mauern empfangen werden und dem sozialdemokratischen Parteitag in Halle ihre Beachtung nicht versagen dürfen. Mit Interesse und Aufmerksamkeit wird man vielmehr den Beratungen desselben im ganzen Reich und über die Grenzen desselben hinaus folgen müssen.“

Der Parteitag beschloss ein Kurzprogramm, ein Organisationsstatut zum Neuaufbau der Partei und gab die Ausarbeitung eines Parteiprogramms -das späteren „Erfurter Programm“- in Auftrag. Hier erhielt das offizielle Parteiorgan den Namen „Vorwärts“, und gab sich die Partei den bis heute geltenden Namen „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“. Damit ist dieses heute „Schorre“ genannte Haus in der „Willy-Brandt-Straße“ ein Ereignisdenkmal ersten Ranges.